Bei meiner Vorbereitung für das Interview mit der Autorin Elisa Shua Dusapin und ihrer Übersetzerin ins Englische Aneesa Abbas Higgins für den Birmingham Lit Fest Presents… Podcast bin ich auch über die deutsche Übersetzung von Andreas Jandl, erschienen bei Blumenbar (Aufbau Verlag), gestoßen. (Den Artikel zum Podcast finden Sie hier: link und ab dem 17.12. ist die Episode online). Aus einem sehr freundlichen Email-Austausch wurde dieses Interview für Literary Field Kaleidoscope, in dem er über sein Vorgehen beim Übersetzen, Herausforderungen und kulturelle Kontexte spricht.
Herr Jandl, wie haben Sie das Buch gefunden oder wurde Ihnen die Übersetzung angetragen?
Hiver à Sokcho war die erste Trouvaille, die Johanna Links für ihre damals noch nicht angetretene Lektorinnenstelle beim Aufbau Verlag gemacht hat. Bis zum Antritt der Stelle waren es noch ein paar Wochen, aber Johanna hatte ihre Fühler schon ausgestreckt. Und sie schickte mir den Text mit der Frage, ob ich den auch packend und ansprechend fand. Ich bejahte das und fragte gleich, ob sie schon jemanden für die Übersetzung im Sinn hätte, denn mich würde der Text auch interessieren. Es folgte meine Probeübersetzung – da ursprünglich eine Frau für diesen Stoff engagiert werden sollte – und die Zusage vom Verlag, dass ich auch als Mann den Text übersetzen dürfte.
Was fanden Sie besonders herausfordernd bei der Übersetzung?
Den Text genauso knapp, poetisch und offen zu halten wie das Original. An Stellen, an denen die deutsche und die französische Sprache anders funktionieren, ein Äquivalent in der gleichen Tonlage zu finden, das im übersetzten Gesamttext nicht auffällt.
Wie leicht oder schwer ist Ihnen gefallen, diesen besonderen Stil zu übersetzen, der mit sehr wenigen Worten auskommt und diese besondere Atmosphäre und Innenansichten zu kreieren?
Es brauchte Zeit. Ich hatte ein Interview mit der Autorin gehört, in dem sie sagt, wie wichtig es für sie beim Schreiben gewesen sei, langsam vorzugehen. Ähnlich ging es mir beim Übersetzen. Die Sätze sind teilweise Kondensate. Gedanken und Empfindungen wurden in stimmige, sparsame Sätze kondensiert. Die Übertragung ließ sich – anders als bei anderer Prosa – nicht auf die Schnelle erledigen. Vor allem auch die Dialoge stellen Herausforderungen dar. Drei, vier Worte, die so viel über die sprechende Figur verraten. Da heißt es für die Übersetzung verknappen, ruhen lassen, nachprüfen, ob der Dialog die gleiche Figur hervorbringt, nachbessern, wieder ruhen lassen, weiter verdichten.
Was ist ihre Reaktion darauf, dass der Roman in Frankreich mit Marguerite Duras verglichen wird?
Die Tiefe der Empfindungen kenne ich von Marguerite Duras, die Schlichtheit der Sprache, die Auslassungen. Aber Elisa Shua Dusapin kommt ganz wunderbar ohne Vergleich und Etikettierung aus, finde ich. Bestimmt war der Vergleich als wohlmeinendes Kompliment gemeint.
Können Sie bitte etwas über die Zusammenarbeit mit der Autorin erzählen? Machen Sie das immer so? Und warum bzw. warum nicht?
Die Autorin hat mit großer Geduld meine Fragen beantwortet, hat meine Zweifel ausgeräumt und hat beispielsweise Zeichnungen zu einigen Örtlichkeiten angefertigt. Erst später, nach Abgabe des Textes, habe ich herausgefunden, wie gut sie auch Deutsch spricht, und fand es rückblickend beeindruckend, dass sie keinerlei Hinweise oder Wünsche zur deutschsprachigen Übersetzung geäußert hat. Sie überließ mir das Deutsche voll und ganz.
Wir hatten das besondere Glück, dass die Autorin ein Übersetzerseminar im Übersetzerhaus Looren besuchen durfte, bei dem ich mit der Übersetzung ihres Textes beschäftigt war. Da haben sich fünf deutschsprachige Kolleg*innen, fünf französischsprachige Kolleg*innen, zwei Seminarleiterinnen und die Autorin gemeinsam mit mir über ausgewählte Textabschnitte gebeugt, um die Übersetzung von allen Seiten zu beleuchten. So viele Ideen und Vorschläge – auch zu Aspekten, die man selbst übersehen hatte. Ein großer Luxus.
Wann immer die Autor*innen noch leben, versuche ich Antworten auf meine Fragen zu finden – nicht auf jede beliebige Fragen, sondern auf Fragen, bei denen Muttersprachler der Originalsprache sich auch nicht sicher sind, und alles darauf hinweist, dass ich an “Erfindungen” der Autor*innen herumrätsele.
Hatten Sie zeitweise den Gedanken, für ein deutsches Publikum etwas erklären zu müssen, dass einem französischen, schweizer oder koreanischen Publikum nicht erklärt werden müsste? Wie sind Sie damit umgegangen?
In Hiver à Sokcho gibt es einige Realita, die einem koreanischen Publikum nicht erklärt werden müssen, einem europäischen aber schon. Da der Roman in Südkorea angesiedelt ist, sind diese Realita für Schweizer, Franzosen und Deutsche jedoch gleichermaßen erklärungsbedürftig. Zu diesem Zweck gibt es das kleine Glossar am Buchende. An einer Stelle wird auf Maupassant hingewiesen und seine Schilderungen der Normandie. Mit dem Schriftsteller wie auch dem Landstrich dürften die meisten Deutschen weniger vertraut sein als die Menschen in Frankreich und in der frankophonen Schweiz, aber Verständnisprobleme ergeben sich daraus keine.
Das Glossar am Buchende – was das Ihre Idee oder die des Verlags? Welche Gedanken stecken dahinter?
Der Vorschlag zum Glossar kam von mir, der Verlag hat positiv darauf reagiert. Statt im Romantext in ein “Erklären” mit Paraphrasen zu verfallen, soll das Glossar erlauben, ganz in der Situation zu bleiben, in der Stimmung, statt die knappen, teils poetischen Sätze mit Wissensvermittlung zu verwässern.
Können Sie etwas dazu sagen, wie bisher die Resonanz zu dem Buch in Deutschland ist?
Es gab erfreulich viele Rezensionen, in Zeitungen, im Netz, im Radio. Doch über eine gewisse Geräuschschwelle kam der Roman in Deutschland leider nicht. In der deutschsprachigen Schweiz aber schaffte er das. Dort wurde die Autorin auch zu Besuchen in Schulen und bei Festivals eingeladen.
Was wurde in der deutschen Rezeption ihrer Meinung nach besonders betont?
Gemeinsamer Tenor ist die besondere Atmosphäre des Romans, die Sparsamkeit seiner Mittel, auch das gelungene Ende, das kein Happy End ist, und oftmals die Figurenkonstellation – eine Halbkoreanerin und Halbfranzösin trifft auf einen Franzosen.
Und es wurde mehrfach erklärt, dass es sich um eine “kitschfreie” Romanze handelt. Meistens ist es ja verdächtig, wenn eine Abwesenheit so betont wird. Doch wenn es darum geht, Leser*innen zu interessieren, ist “Romanze aber ohne Kitsch” wohl eine durchaus wichtige Weichenstellung.
Haben Sie die unterschiedlichen Cover gesehen? Was denken Sie, wieso man sich für das deutsche Cover für die Bergkette entschieden hat während der schweizer Original sehr abstrakt bleibt und die englischen Ausgabe eher wie ein Werbeplakat wirkt?
Die Cover habe ich gesehen und halte sie alle für sehr aufschlussreich. Vor allem verrät der Verlag, welche Leserschaft er ansprechen möchte – und wie so oft bin ich auch hier froh, dass die Literaturvermittlung nicht in der Verantwortung der Übersetzenden liegt. Denn sich in einen Text einzufühlen und ihn zu übertragen ist das eine, ihn dann aber in den Buchhandel eines spezifischen Landes zu bringen und ihn ausreichend oft zu verkaufen, um zumindest die Kosten einzuspielen, ist etwas anderes.
Wissen Sie ob die Übersetzungen ihrer nächsten Romane, Les Billes du Pachinko und Vladivostok Circus (beide Éditions ZOE), auch geplant sind? Sind Sie daran auch beteiligt?
Bisher habe ich nur anlässlich der Vergabe des Schweizer Buchpreises 2019 an Elisa Shua Dusapin einen Auszug aus Die Pachinko-Kugeln für eine mehrsprachige Broschüre übersetzt. Von weiteren Übersetzungsprojekten weiß ich bisher noch nicht, hoffe aber sehr darauf.
Ich drücke die Daumen und bedanke mich für das Interview!
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Andreas Jandl, 1975 geboren, studierte Theaterwissenschaften, Anglistik und Romanistik in Berlin, London und Montréal. Seit 2000 übersetzt er Dramatik und Belletristik aus dem Englischen und Französischen.
Ein Winter in Sokcho ist 2018 in der deutschen Übersetzung von Andreas Jandl bei Blumenbar erschienen: link zum Buch auf der Verlagswebseite (mit Leseprobe)