Resonanzen 2024 – Bewegung im Kopf und im Herzen

Einige Eindrücke vom Resonanzen Literaturfestival 2024 und eine Ankündigung zum Buch rund ums Festival (Literarische Diverse, 2024).

Zum dritten Mal fand das Resonanzen Literaturfestival, bei dem Schwarze deutschsprachige Literatur gefeiert wird, im Rahmen der Ruhrfestspiele in Recklinghausen statt. Wieder war es ein Fest und brachte dem Publikum sechs Schreibende nahe, die durch ihre Geschichten, ihre Performances und in Gesprächen bezauberten und überzeugten. Darüber hinaus waren die vier Tage mit Impulsvorträge, Gesprächsrunden und Livemusik gefüllt, die sich im Wechselspiel und auch mit den Lesungen gegenseitig verstärkten, nachdenklich machten und viele Begegnungen ermöglichten. In diesem Jahr wurde der Blick noch einmal erweitert, um in der Rezeption und Einordnung Perspektiven von außerhalb des deutschsprachigen Raums mit einzuschließen. Und einige der Veranstaltungen wurden in Deutscher Gebärdensprache (DGS) performt bzw. übersetzt, was einerseits inklusiver war und weitere Begegnungen ermöglicht hat sowie auch bei den hörenden Zuschauenden weitere Denk- und Wahrnehmungsräume aufgemacht hat, besonders umwerfend die Performance David Yusuf (DGS) mit Raphaëlle Red (deutsche Lautsprache).

eine Bühne voller strahlender Menschen, die gemeinsam das Resonanzen-Festival gestaltet haben. Im Hintergrund eine blaue Blume mit dem Schriftzug Resonanzen

Resonanzen-Autor*innen, -Jury, Kuratorinnen und Projektleitung

Patricia Eckermann und Sharon Dodua Otoo haben mit ihrer Konzeption und Kuration auf die vergangenen „Resonanzen-Editionen“ aufgebaut und nochmal nachgelegt. Die Inhalte forderten wieder heraus, ließen niemanden kalt und machten es quasi unmöglich, nicht mit neuen Impulsen nach Hause zu gehen. Im Hintergrund unterstützte und wirbelte das Projektleitungsteam Tatjana Niederberghaus und Jesko Vorbeck. In diesem Jahr führte das Duo Alexandra Antwi-Boasiako und Hadija Haruna-Oelker exzellent durch das Festival. Hadija Haruna-Oelker bewundere ich (neben ihren Büchern und „Trauer & Turnschuh“) sehr für ihren messerscharfen Verstand und ihre Denkgeschwindigkeit und Alexandra Antwi-Boasiako für ihre Energie und ihren Enthusiasmus, mit dem sie immer wieder alle ins Boot holt und zu Höchstleistungen anspornt (nicht nur beim Jubeln).

In diesem Jahr wurde die Veranstaltung von der Kulturstiftung des Bundes gefördert, hatte einen etwas internationaleren Einschlag und fand nicht mehr im Herzen der Ruhrfestspiele im Festspielhaus statt, sondern am Rande von Recklinghausen (Süd) in der Halle König Ludwig. Das schien nicht zu jedem Zeitpunkt die glücklichste Lösung, da die Anreise dadurch lang und nicht unbeschwerlich war, es unerfreuliche Barrieren gab und die Location weniger Festivalcharakter versprühte. Um trotzdem vielen Menschen die Teilhabe zu ermöglichen, gab es einen Stream, der aktuell noch über den YouTube-Kanal @ResonanzenLiteraturfestival einsehbar ist (Stand: 15.12.2024): www.youtube.com/@ResonanzenLiteraturfestival/streams.

Und hier noch ein Nachtrag: Am 20. Dezember 2024 erblickte auch Thabo Tindis Dokumentarfilm über Resonanzen – Schwarzes Internationales Literaturfestival 2024 das Licht der Welt. Zu sehen ist der sehr sehenswerte dokumentarische Beitrag mit vielen Highlights des Festivals über den YouTube-Kanal @ResonanzenLiteraturfestival (www.youtube.com/@ResonanzenLiteraturfestival/videos, 55 Minuten, Deutsch mit engl. Untertiteln).

Im Zentrum von Resonanzen

Das Herzstück des Festivals waren auch in diesem Jahr die Lesungen der sechs aufstrebenden Autor*innen: Cucuteni, Njideka Iroh, Amina Abdulkadir, Rebecca Ajnwojner, Ridal Carel Tchoukuegno und Nana D’Artist (in order of appearance beim Festival). Die Texte wurden wieder von der herausragende Jury, bestehend aus Elisa Diallo, Dominique Haensell, Aminata Cissé Schleicher und Ibou Diop im Detail analysiert, kommentiert und eingeordnet. Gefühlt waren sie dieses Jahr etwas kritischer als 2022, doch blieben sie dabei immer wertschätzend. Eine schöne Erinnerung daran, wie Literaturkritik auch sein kann.

Neben allen Unterschieden, wie in den Texten das diesjährige Impulswort „Bewegung“ umgesetzt wurde, hatten die Texte auch einige Gemeinsamkeiten und schienen miteinander zu kommunizieren. Erfreulicherweise erscheint das Buch zum Literaturfestival in Kürze (20.12.2024, Link) im unabhängigen Verlag Literarische Diverse, herausgegeben von Sharon Dodua Otoo, Patricia Eckermann und Ruhrfestspiele Recklinghausen. Also hier ein kleiner shout-out an das Team: Verlegerin Yasemin Altınay, Roxanne Dänner, die gemeinsam mit Yasemin Altınay lektoriert hat, und Gestalterin Anna-Maria Koptenko. Die Darbietungen der Autor*innen waren wunderbar und sehr eindrücklich, die Kurzgeschichten dicht gewebt und voller Anspielungen, so dass ich mich freue, die Texte nochmal in Ruhe nachlesen zu können und noch mehr zu entdecken.

 weißes buchcover. mit grünen buchstaben steht resonanzen darauf

Strukturkritik, Solidarität und Musik

Einige Eindrücke vom Rahmenprogramm möchte ich gerne noch teilen und dabei die Keynote von Bernardine Evaristo nicht unterschlagen, die anhand ihrer eigenen „Navigationsgeschichte“ durch die Theater- und Literaturwelt in Großbritannien Einblicke in die Kämpfe, Allianzen und Strategien gewährte und damit auch die strukturelle Natur vieler Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten verdeutlichte. Sehr emotional für die Menschen auf der Bühne und im Publikum wurde auch das Gespräch über wissenschaftliche Strukturen und Black Studies zwischen den Prof. Maisha M. Auma, Dr. Patrice Poutrus und Araba Evelyn Johnston-Arthur, das die tiefen Spuren verdeutlichte, die die Verweigerung von institutioneller Anerkennung und die vielen Kämpfe hinterlassen. Die Reaktionen zeigen auch: die Community trägt, aber auch der Wissenschaftsbetrieb muss sich dringend ändern.

Besonders eindrucksvoll war für mich darüber hinaus das Panel über Literaturübersetzungen. Mit einer bewundernswerten Klarheit gab die herausragende Übersetzerin Mirjam Nuenning eine Erkenntnis weiter, bei der Verlage und andere Institutionen genau hinhören sollten: „Du musst nicht mit allen zusammenarbeiten.“ Auch wenn das Literaturübersetzen oft unter prekären Bedingungen geschehe, lohne es sich, seine Auftraggeber*innen weise zu wählen, beispielsweise um frustrierende Auseinandersetzungen um unsensible Sprache in einem asymmetrischen Machtverhältnis zu vermeiden. für Wer also hochqualitative Übersetzer*innen mit Spezialwissen haben möchte, muss sie auch entsprechend gut behandeln. Das Gespräch zwischen Mirjam Nuenning und Jon Cho-Polizzi, der u.a. Werke von Fatma Aydemir, Max Czollek und Sharon Dodua Otoo ins Englische übersetzt, würde ich gerne nochmal nachhören.

Das kontroverseste Panel war wohl das „Establishment“-Panel, mit Verleger Oliver Vogel (S. Fischer), Literaturhausleiterin Dr. Gesa Schneider (Schaffhausen) und Literaturagent Alfio Forlani. Einerseits haben sie sich der Diskussion gestellt – wo sie die Hürden sehen für adäquatere Repräsentanz und was sie selbst in ihrer Arbeit tun – andererseits ist so ein Talk (ähnlich wie Papier) geduldig und es blieben einige Fragen offen bzw. wunderte ich mich manchmal über die Einschätzungen, wie niedrig die eigene Handlungs- oder Wirkungsmacht eingeschätzt wurde. Ich muss gestehen, ich kenne das Literaturhaus Schaffhausen noch nicht, aber fand die selbstkritischen Beiträge von Gesa Schneider ganz interessant. Und im S. Fischer Verlag sind u.a. die Bücher von Sharon Dodua Otoo und Olivia Wenzel erschienen – aber es war schon irritierend, vom Verleger zu hören, das sei halt der Markt, da könne man als Einzelperson auch nicht viel ausrichten.

Ein Missverständnis ließ sich dann immerhin schnell ausräumen: es war wohl im zuvor genannten Panel der Eindruck entstanden, dass die deutsche Germanistik (oder das deutsche Literarische Feld) die sog. „Auslandsgermanistik“ bräuchte, um Impulse zu entwickeln. Erstmal löst der Begriff bei mir gleich schon ein Störgefühl aus, nicht zuletzt, weil er immer mal wieder dafür genutzt wird, um die Forschenden im Ausland zu diskreditieren und ihnen Wissen abzusprechen. Divide and conquer. Nach vielen Gesprächen mit aktiven Wissenschaftler*innen, die bei Resonanzen anwesend waren, lässt sich festhalten, wie wichtig und inspirierend die Verbindungen und Netzwerke zwischen Germanst*innen an unterschiedlichen Orten und mit unterschiedlichen Ausstattungen sind. Dr. Jeannette Oholi (Dartmouth USA, früher GCSC Gießen), Dr. Tara Talwar Windsor (Cambridge, früher Wuppertal), Dr. Tiffany Florvil (U New Mexico) und Mahamadou Famanta (FU Berlin) waren wunderbare Beispiele dafür, wie konstruktiver Austausch und gemeinsames Arbeiten auf Augenhöhe aussehen kann. Wenn ich solche Menschen treffe, wünschte ich mir manchmal, ich wäre in der Wissenschaft geblieben.

Joy

drei Schwarze Frauen mit Afrohaaren stehen auf einer Bühne und singen in Mikrofone

3 Women: Jeannine Mayani, Gonza Ngoumou und Bona Ngoumou

Besonders gefreut habe ich mich darüber, dass in diesem Jahr noch mehr Musik im Programm und weitere Wortakrobat*innen zu erleben waren. Umwerfend fand ich die Spoken Word Poetin Fatima Moumouni und die eindringlichen Performances von Philip Khabo Koepsell und Temye Tesfu. Gleichzeitig hatten alle Darbietung etwas ganz besonderes, zum Beispiel Arenor Anuku an der Gitarre, Precious Chiebonam Nnebedum, die aus ihrer Gedichtsammlung „Birth Marks“ (erschienen in einer deutsch-englischen Doppelausgabe im Haymon Verlag) las und sang, und Bahati Glass, die ihre Musik (in deutscher Lautsprache) in diesem Jahr gemeinsam mit Dodzi Dougba (in deutscher Gebärdensprache) performte. Mit Raphaëlle Red und Bahati Glass waren zwei Autorinnen Teil von Resonanzen 2024, die bereit in der ersten Resonanzen-Intervention mit dabei waren, als Autorinnen der Kurzgeschichten „Das Geschenk meines Vaters“ (Glass) und „Calvins Väter“ (Red) – überhaupt war es sehr bewegend zu sehen, wie sich die Autor*innen der Resonanzen-Festivals untereinander unterstützten. Und auch die Theodor-Wonja-Michael Bibliothek aus Köln war wieder mit ihren Büchern vertreten; es fühlte sich manchmal ein bisschen an wie ein Klassentreffen.

Gerade hat mich Raphaëlle Reds neues Buch tief beeindruckt: Adikou (rowohlt, übersetzt von Patricia Klobusiczky) – und ich denke häufiger darüber nach, was ich alles ohne Resonanzen verpasst hätte, welche neuen Denkräume sich mir durch die drei Festivals aufgetan haben und was für beeindruckende und freundliche Menschen ich kennengelernt habe. Und so freue ich mich auf das Buch zum Festival – und hoffe gleichzeitig auf den Moment, an dem solche Interventionen nicht mehr notwendig sind und wir als Lesende in jeder Buchhandlung und Bibliothek so viel Schwarze deutschsprachige Literatur entdecken können, dass sich unsere Regalbretter biegen.

 

PS: Das