Die Liebe in Zeiten der Leistungsgesellschaft

Our guest author Patrick Helber writes about Liv Strömquist’s new feministist Comic Ich fühl’s nicht, which was translated into German by Katharina Erben and published by Avant Verlag.

cover des buchs "ich fühls nicht" von Liv Strömquist

(c) Liv Strömquist | avant-verlag 2020

In ihrem neuen feministischen Comic Ich fühl’s nicht, nimmt die schwedische Politikwissenschaftlerin und Zeichnerin Liv Strömquist das gegenwärtige Beziehungsverhalten von Menschen im globalen Norden unter die Lupe. Nachdem sie in ihren drei vorausgehenden Bänden eine Kulturgeschichte der Vulva (Der Ursprung der Welt), eine kritische Analyse der romantischen Liebe (Der Ursprung der Liebe) und das Schicksal unsichtbar gemachter Frauen an der Seite von berühmteren heteropatriarchalen Prominenten (I am every woman) beleuchtet hat, geht es im neuesten Band um das Gefühl der Liebe. Warum fällt es vielen Menschen heute so schwer, Liebe zu fühlen oder zu finden – trotz massiver globaler Vernetzung und des potentiellen Überangebots durch Onlinedating –  und was hat das mit den aktuell dominanten Geschlechtervorstellungen, dem Hollywoodstar Leonardo DiCaprio, der pop-feministischen Ikone Beyoncé oder „Jost und Schmost“ zu tun?

Comicseit aus "ich fühls nicht" von Liv Strömquist

(c) Liv Strömquist | avant-verlag 2020

Wie in ihren vorausgegangenen Bänden nähert sich Strömquist ihrem Thema mittels eines Korpus an wissenschaftlicher Literatur aus Soziologie, Psychologie, Geschichte und Mythologie an, das sie um witzige Anekdoten und schrille Kollagen aus der Popkultur ergänzt und via kleingedruckte Literaturangaben transparent macht. Neben hauptsächlich schwarz-weißen Zeichnungen, großen Sprachblasenketten und in Form von zu Bildern montierten Zitaten nutzt Strömquist außerdem Ausschnitte aus Zeichentrickfilmen, Magazinen und Screenshots aus Filmen und Serien. Den monströsen Jabba the Hut aus Star Wars, Papaschlumpf, Miraculix aus Asterix und Samantha Jones aus Sex and the City lässt Stömquist argumentieren, dass Gefühle für Andere zuzulassen gegenwärtig als Zeichen der Schwäche gilt: „Andere Menschen sind nicht ‘Andere’ – sondern dienen als Spiegel zur Bestärkung des eigenen Egos.“

Comicseit aus "ich fühls nicht" von Liv Strömquist

(c) Liv Strömquist | avant-verlag 2020

Waren das Offenbaren von Liebesgefühlen und Geben von Beziehungsversprechen historisch männlich konnotiert, gilt heute als maskulin, wer viele sexuelle Beziehungen mit attraktiven Frauen pflegt, ohne sich emotional auf deren Persönlichkeit einzulassen. Strömquist formuliert daran anknüpfend die These, dass Frauen sich dieses männliche Verhalten selbst angeeignet haben, um wiederum selbst Macht zu erlangen: „Jetzt war ich mit 15 anderen Schlümpfen aus Schlumpfhausen im Bett! So what?! Wen schert’s?“ Sie beruft sich dabei auf die Soziologin Eva Illouz, die sich mit dem Zusammenwirken von Liebe und Kapitalismus auseinandergesetzt hat (Link zu Eva Illouzs Buch Warum Liebe endet, Suhrkamp 2018). Sowohl Illouz als auch Strömquist plädieren für Emotionen und kritisieren rationale Auswahlverfahren als „Entzauberung der Welt“.

Strömquist begibt sich in ihrem neuen Buch etwas hinter ihre Argumentation aus dem „Ursprung der Liebe“ zurück. Sie hätte gut daran getan, neben Illouz auch Bini Adamczak eine Expertinnenrolle im Comic zu geben (Link zu Interview mit Bini Adamczak, Freitag 49/2019). So wäre es möglich gewesen zu zeigen, dass der Kapitalismus nicht nur die Rational Choice Theory, sondern auch die Idee der romantischen Liebe selbst hervorgebracht hat. Gerade weil diese für Nähe, Wärme, Vertrauen und Emotionalität und damit das scheinbar Gegensätzliche zur Marktkonkurrenz steht. Anstatt nur zu beklagen, dass Gefühle verloren gehen und (Liebes)-Beziehungen zu Waren verkommen, hätte Stromquist noch auf die Funktion von Liebe im heutigen Kapitalismus aufmerksam machen können. Im Kapitalismus sind laut Adamczak Emotionalität und Liebe in der reproduktiven Sphäre erwünscht. Gerade im Rahmen von Haus-, Familien-, Beziehungs- oder Care-Arbeit liefern uns Emotionen unbezahlt Einzigartigkeit und Nähe, wenn der Markt uns ansonsten nur Austauschbarkeit und Kälte fühlen lässt.

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Patrick Helber, Jahrgang 1984, lebt in Berlin und ist Historiker, Museumsmensch, Radiomacher und Schreibmaschine. Seine Dissertation erschien unter dem Titel „Dancehall und Homophobie. Postkoloniale Perspektiven auf die Geschichte und Kultur Jamaikas“ im Transcript-Verlag (link zur Dissertation, transcript Verlag).