Kann man eine Lüge dichten? Thekla Dannenbergs Bericht von der Leipziger Buchmesse

Kann man eine Lüge dichten?

Thekla Dannenberg fasst ihre Eindrücke von der Leipziger Buchmesse zusammen, die von der Debatte um rechte Verlage, aber auch von Copyright-Fragen und den Überlebenschancen kleiner Verlage bestimmt war.

 Wie schon in Frankfurt war auch die Buchmesse in Leipzig von der Debatte um rechte Verlage geprägt. Durch sämtliche Hallen schwebte die Frage, wie viel extremistisches Gedankengut eine offene Gesellschaft ertragen muss. Uwe Tellkamp hatte wenige Tage vor Eröffnung der Buchmesse gezielt die Vorlage für diese Diskussion geliefert, als er bei einer Diskussion mit dem Dichter Durs Grünbein demagogisch über Flüchtlinge und Gesinnungskorridore herzog und seine öffentliche Kränkung geradezu zelebrierte: Jahrelang wähnte sich der vor der Selbstbewusstsein strotzende Autor des DDR-Romans “Der Turm” in der Rolle eines neues Nationaldichters, nun erntete er nur Verachtung für seine Gehässigkeiten. Tellkamp badete in den Kritik. Doch auch wenn Grünbein in einem wunderbaren Text das Spiel entlarvte (link zum Beitrag http://www.sueddeutsche.de/kultur/gastbeitrag-von-durs-gruenbein-hinter-der-meinungsfreiheit-verbirgt-sich-mitunter-jede-form-von-gemeinheit-1.3904679), das Tellkamp betrieb, war das Klima in Leipzig erfolgreich vergiftet.

Dennoch waren die Buchmesse und Verlage nicht mehr so unvorbereitet auf den Schock wie noch in Frankfurt. In Leipzig wurde bedächtiger agiert: Die Antifa gab den den rechten Verlagen wenig Gelegenheit, sich als Opfer linker Angriffe zu stilisieren. #VerlageGegenRechts” (link zur Initiative https://twitter.com/hashtag/verlagegegenrechts?src=hash) hatten sich zusammengetan und rund um die Stände der Rechtsextremen die Parole “Die Gedanken sind bunt” plakatiert. Man konnte sich ein bisschen imprägniert fühlen, wenn man sich dann doch den Ständen von Jürgen Elsässers Kampfblatt “Compact” und Jörg Kubitscheks ideologischem Antaios-Verlag näherte. Compact vertrieb dort seine Blätter zu “Asylflut” und “Deutschen Helden”, rückte aber nicht raus mit dem Titel “Die NSU-Akten. Warum Beate Zschäpe freigelassen werden muss”. Diese Form terroristischer Unterstützung hätte man gern näher unter die Lupe genommen. Antaios beließ es bei Retourkutschen. “VersagerGegenRechts” lautete der Hashtag, mit dem der Verlag auf die Plakate seiner Gegner konterte.

 Auffällig ist trotz aller Breitbeinigkeit, mit der die rechten Verlage auftraten, wie wenig Schwung sie intellektuell entwickeln. Es gab Zeiten, da entfachten konservative oder reaktionäre Autoren oder Gedanken deutlich mehr Feuer. In Leipzig schwelten kleingeistiges Ressentiment und eine recht piefige Sehnsucht nach Größe. Und greise Flieger-Generäle erzählen vom Krieg. Das war tatsächlich ziemlich öde.

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 Ein anderes gravierendes Problem, das die Buchmesse beschäftigt hielt, ist die prekäre Situation der kleinen Verlage, die mit Fantasie, Entdeckerfreude und Einfallsreichtum den Buchmarkt lebendig halten. Ihnen macht das Wegbrechen der Leserschaft ganz besonders zu schaffen. Aber auch das BGH-Urteil zum Urheberrecht, das sie hohen Rückzahlungen an die VG Wort verpflichtete, bereitet ihnen finanzielle Schwierigkeiten. In einer Düsseldorfer Erklärung (Link zur Erklärung http://www.kunststiftung-nrw.de/__wp_admin/wp-content/uploads/2018/02/180207_ddorfer_erklaerung.pdf) forderten einige Verlage jüngst mehr staatliche Unterstützung und die Anerkennung des Verlegens als künstlerische Tätigkeit.

 In einer recht hitzigen Diskussionsrunde wurde über die Frage debattiert, ob Verlage auch in Deutschland direkt gefördert werden sollten, wie es etwa in Österreich und der Schweiz bereits der Fall ist. Nordrhein-Westfalen Kultusministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen und der frühere Kulturstaatsminister und Rowohlt-Verleger Michael Naumann sprachen sich dagegen aus, plädierten aber durchaus für mehr staatliche Initiativen zur Förderung der Lesekultur. Aber sehr dezidiert weigerten sich beide, kleinen Verlagen einen künstlerischen Status zuzusprechen. Auch Galeristen seine keine Künstler. Und: Wenn ein Großverlag Vladimir Nabokovs Gesammelte Werke herausgebe, mache der sich auch um die Kultur verdient.

 Anna Jung, vom Salzburger Verlag Jung und Jung, wies allerdings darauf hin, dass Rowohlt sogar Robert Musil aus seinem Programm geworfen habe. Jetzt erscheint er bei ihr, aber nur dank staatlicher Unterstützung. Andere beklagten, dass die Schullektüren, immerhin ein Millionenmarkt, sich aus den Programmen der immer gleichen fünf oder sechs Großverlage speise. Immerhin: Das Börsenblatt veröffentlicht jetzt neben den anderen Bestseller-Listen auch die Top 25 der unabhängigen Verlage (Link zum Börsenblatt https://www.boersenblatt.net/bestseller/independent).

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 Zu den schönsten Momenten der Leipziger Buchmesse gehört daher immer die Verleihung des Kurt-Wolff-Preises (Link zur Stiftung http://www.kurt-wolff-stiftung.de/). Mit der Auszeichnung werden kleine, unabhängige Verlage gewürdigt. Und sie werden nicht nur gewürdigt, sondern mit einer erklecklichen Summe unterstützt. In diesem Jahr wurden zwei besonders eigenwillige, geradezu schratige Persönlichkeiten für ihre Hingabe an die Literatur ausgezeichnet. Der Hauptpreis ging an Ingo Držečnik, der mit seinem Elfenbein-Verlag gerade Anthony Powells zwölfbändiges Romangroßwerk “Ein Tanz zur Musik der Zeit” herausgebracht hat. Den Förderpreis bekam die winzige Edition Rugerup, in der sich die Übersetzerin Margitt Lehbert unermüdlich den Orchideen der internationalen Lyrik widmet. Neben vielen skandinavischen Dichtern übersetzte sie auch Les Murray, von dem sie in ihrer Dankesrede einen schönen, sehr optimistischen Gedanken übernahm: “Man kann eine Lüge nicht beten, hat Huckleberry Finn gesagt; man kann sie auch nicht dichten.”

Thekla Dannenberg ist Journalistin und lebt in Berlin. Sie ist Redakteurin beim Perlentaucher, gehört der Jury der ZEIT Krimi-Bestenliste an und lehrt Journalismus an der Universität Hildesheim. 2014 erschien ihre Übersetzung von Robert Warshows Essayband “Die unmittelbare Erfahrung”.